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Kunstbeurteilung: Kunst-Kriterien-Katalog
zur Demokratisierung/Pluralisierung staatlicher Kunstförderung 

             Kulturpolitische Aufgaben dürfen Stadt Kassel und Land Hessen nur im Geiste der  Kunstfreiheit erfüllen, wobei sich die Träger n e u t r a l , aber nicht  w e r t n e u t r a l  verhalten müssen. Kunstpolitische Programme dürfen auf documenten über monokratisch agierende Kunstpäpste, die sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen (vgl. d9, d10), nicht verwirklicht werden. Das Bundesverfassungsgericht definierte Kunst so:

            „Das Wesen der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewußten und unbewußten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim  künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zu­sammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers." (1)            

            Eine freiheitsermöglichende, freiheitssichernde und Pluralität verbürgende Kunstförderung durch den demokratischen Staat bedarf der Zugrundelegung eines Kunstbegriffs, der es verhindert, dass weiterhin - wie auf d9/d10 üblich - unter dem Deckmantel von "Kunst" die documenta-Macher als sog. Nicht-Kunst-als-"Kunst"-Designatoren x-beliebige Aktionen, x-beliebige Gegenstände (Nichtkünstlerisches) - nach der Entgrenzung und Aufhebung des Kunstbegriffs; durch Kunst/Künstler am Nullpunkt, in Nullform - als „das allgemein Beste“ verkaufen können. Dass der "Kunst"-Begriff der Nicht-Kunst-durchsetzenden-Designatoren des totalitären Kunstbetriebs die ästhetische Dimension ("Kunstspezifisches") durch Reduktion der Kunst auf Nullform (s.o.) ausschließt - er deckt sich weder mit dem Kunstbegriff der Künstlerschaft in der BRD noch mit dem des gebildeten Menschen; und auch nicht mit dem  r e c h t l i c h e n  "Kunst"-Begriff - wurde von mir in Büchern wiederholt dargelegt (vgl. z.B. db1 S. 74 ff.).

            Zur Abgrenzung von Werken mit  K u n s t w e r t  von solchen ohne Kunstwert gibt es juristisch Grenzen: "Nichtkunst ist eben keine Kunst, und eines Anhaltspunktes bedarf es nicht für diese Verneinung, vielmehr für die  Annahme, daß das Grundgesetz entgegen seinem Wortlaut die Nichtkunst der Kunst gleichstelle", stellte das Bundesverwaltungsgericht klar. So sei es eben „nicht angängig, den Kunstbegriff dadurch auszuhöhlen, dass die Nichtkunst der Kunst gleichgestellt wird, und dann unter Berufung auf diese Gleichstellung auch die Freiheit der echten Kunst einzuschränken“ (2) 

            Was Kunst und wer Künstler ist lässt sich nach dem oben gesagten also juristisch klären. Verwaltungsgerichte sind demnach nicht gehindert, die richtige Anwendung der Begriffe 'Kunst' und 'Künstler' durch Verwaltungs-behörden nachzuprüfen, was indessen im Fall documenta insofern dadurch umgangen worden ist, dass behauptet worden ist, mir „mangelte“ es als Kläger (angeblich) „an der notwendigen Klagebefugnis“.

            Mein "Modell für eine objektivere Kunstbeurteilung", das Anklang fand, hier in einer Kurzfassung/Auszüge (vgl. db1, S. 81 f.):

            WerkFORMALES, -INHALTLICHES und -GEHALTLICHES bestimmen den Ge­samtwert ei­nes künstlerischen Gebildes. Ein Kunstwerk konkretisiert sich in ästhetisch-werthaften und außerkünstlerischen werthaften Qualitäten. Wir unterscheiden  wertpositive, -neutrale und ‑negative Qualitäten.

            Fragen Sie bei der Sachbegegnung, Sachanalyse das Kunstwerk mit den 7 essentiellen W: WAS, WANN, WO, WIE, WOMIT, WARUM, WOZU ???

1.  VERGLEICHEN SIE DAS KUNSTWERK MIT BISHER BEKANNTEN WERKEN (Rangfolge a-e):

a)  Plagiat

b)  Epigonentum

c)  Als Variation von ... neuartig und in der Erfindung meisterhaft

d)  Neuartig - original - nicht dagewesen, jedoch nach der bisherigen
kunstgeschichtlichen Entwicklung durchaus vollziehbar, vorhersehbar und vorstellbar

e)  Geniale Leistung, als schöpferischer Akt in der Einzigartigkeit der Erfindung unfassbar, bisher nicht möglich erscheinend; Resultat eines besonderen unnachahmlichen Könnens (Nachweis der Neuheit der Erfindung - Rolle der Priorität!)

2.  STUDIEREN SIE IM WERK DIE VERWENDUNG BILDNERISCHER MITTEL IN BEZUG AUF DIE LÖSUNG DES BILDNERISCHEN PROBLEMS (Zusammenwirken von Intuition und Intellekt des Künstlers)! Linear-figurative Qualitäten, Farbqualitäten, kinetische Qualitäten, Aktivierungsqualitäten (Einbeziehen der Aktivität des Betrachters), akustische Qualitäten.Beitrag der Qualitäten am Wertvollsein des Ganzen; Korrelation von Bildstruktur und Inhalt/Gehalt; Problemrelationen, -verbindungen, -überlagerungen?

3.  INWIEWEIT DIENEN WIRKSAMKEIT, ÜBERZEUGUNGSKRAFT, EINDRINGLICHKEIT, MITTEILUNGSKRAFT DER REINEN BILDNERISCHEN MITTEL DEM KUNST-WERKINHALTLICHEN BZW. -GEHALTLICHEN (Überzeitlichkeit, Zukunftsträchtigkeit, Geist der Zeit etc.)?

4.  WERDEN IN IHNEN GEFÜHLSBETONTE ASSOZIATIONEN NEGATIVER ODER POSITIVER ART IN BEWEGUNG GESETZT (Reflexstärke, evokatorische Kraft)?"

           Hier ist anzumerken, dass ich in meinem Buch "Symmetrie als Entwicklungsprinzip in Natur und Kunst" das vielfältige Problem der Kunstbeurteilung mehrfach angesprochen habe und einen "evolutorischen Kunstbegriff", einen "Stammbaum" der Kultur und Malerei anvisiert habe (S. 234 f.). Dass Qualität durchaus definierbar ist und der  I n n o v a t i o n s ­w e r t  eines Kunstobjekts als das oberste Kriterium angesehen werden kann (Originalität, visuelle Erfindungskraft, geschichtliche Relevanz, stilbegründende Kraft, Kreativität ...), belegt auch eine Untersuchung von  PLAGEMANN  mit Antworten von Künstlern, Händlern, Ausstellern, Kritikern, Sammlern. (Kunst als Ware? In: DAS KUNSTWERK, Nr.2/1971, S. 3-81; Zusammenfassung S. 79.) Zur Diskussion des Themas künstlerische Qualität siehe auch Langer, M.: Innovation und Kunstqualität. Worms 1989).

            Gezielte Förderung bestimmter Künstler/Antikünstler auf documenta-Ausstellungenen (siehe Beuys-Beispiel), mehr aber noch   g e z i e l t e  N i c h t f ö r d e r u n g von innovativen und qualifizierten Künstlern führt auf indirektem Wege in bedenkliche Nähe zu einer nicht erlaubten  Z e n s u r.

           Wichtig  ist daher für die Freiheit der Kunst im Bereich staatlicher Kunstförderung "eine sachbezogene Organisations- und Verfahrensstruktur", was von mir - wie auch von Friedhelm Hufen schon früher und in der documenta-Kritik - in db1 (vgl. z.B. S. 80) vorgetragen wurde. Der Senat des Bundesverwaltungsgerichtes hat in einem Urteil von 1966 (NJW 1966, S. 1286 ff.) zum Ausdruck gebracht, dass W e r t u n g e n  über künstlerische Leistungen  der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung "in vollem Umfang" unterworfen sind (a.a.O. S. 1288). Auf Wertungen gegen den Installationen-Wahn Hoets mit Antikunst indessen wollten sich die Kasseler Gerichte (VG und OLG) erst gar nicht einlassen. In meinem db1 war zu lesen: Aufgabe der Gerichte ist es, "darüber zu wachen, dass nicht Künstler oder Kunstrichtungen deshalb durch die Art der Prädikatisierung zurückgesetzt werden, weil sie mit einer herrschenden Kunstauffassung nicht übereinstimmen.“ (S. 80.)

            Laut BVerwG haben sich Kunst-Juroren nicht an ihren - u. U. äußerst eigenwilligen - Auffassungen zu orientieren, sondern die durch Kunstkritik, Kunstwissenschaft usw. entwickelten überindividuellen Wertmaßstäbe beim Auswahlakt zugrunde zu legen. Die "Gesetze der Kunst" sind von ihnen zu beachten.(3)           

                Entgegen dem  V e r b o t  einer willkürlichen Bevorzugung oder Benachteiligung von Künst­lern und dem  Gebot  demokratischer und pluralistischer staatlicher Förderung bildender Kunst, darf der Staat seine finan­zielle  Macht   n i c h t  -  wie im Fall documenta   nachweisbar - dazu verwenden bzw. missbrauchen, um bestimmte künstlerische Richtungen, Stile, Schulen aus dem Kunstleben zu verdrängen oder einseitig zu etablieren. (Hierzu auch db1 S. 83; vgl. weiter unten.) Dass eine ganze Bewegung heutiger Künstler sagt: "Wir machen mit Absicht schlechte Malerei!", die von Museen erworben wird, liest man in der FAZ (Magazin, Heft 681 vom 19.3.1993); dem Laien - auch Politikern - oft unbekannt!           

            Es sollte sich zeigen, dass Kunst heute ihre Funktion und ihren Erkenntniswert nicht verloren hat. Künstler sollten vermehrt dazu aufrufen, die Kunst aus dem „Würgegriff der Kritiker und Händler" und kunstlenkender großer Sammler zu befreien.

            Das Problem des Einflusses von Sammlern auf die öffentliche Hand ist ungelöst, denn nach der Allmacht und dem Einfluss des verstorben Ludwig (vgl. mein db1 S. 66 f.) wird (durch „Nebengötter“) das öffentliche Erscheinungsbild der Gegenwartskunst weiterhin vom Einheits-Zeitgeist-Geschmack der Kunsthändler und Sammleragenten „gesteuert und kontrolliert“ (Beaucamp in der FAZ v. 12.11.96, S. 39).

            Haben die Verfassungsrichter  P r ü f u n g s m i s s b r a u c h seit einiger Zeit „von oben" Einhalt geboten (BVerfG von 1991; vgl. mein db1, S. 84), indem ein Prüfling gegenüber einem Prüfungsgremium begründete Einwände geltend machen kann, kann die stärkere gerichtliche Kontrolle von Prü­fungsentscheidungen auch Konsequenzen für den Bereich der kunstbezogenen „Prüfungen" haben: beispielsweise auf das d o c u m e n t a-Auswahlverfahren. Fachliche Meinungsverschiedenheiten zwischen „Kunstprüfer(n)" (z.B. d9/d10 ... -Päpsten) und „Kunstprüfling" dürfen nicht weiterhin der gerichtlichen Kontrolle gänzlich entzogen werden, was auch die documenta-Beurteilung von Hufen deutlich gemacht hat! Interessant ist, dass Staatsanwälte im Fall documenta untätig geblieben sind und mit dem Argument des angeblich weiten „Beurteilungsspielraums“ argumentiert haben (s.w.o.)!

            Wenn Kunstförderung als Aufgabe und Verpflichtung des modernen Staates betrachtet wird (siehe oben Hessen-CDU), darf  Kunstsubvention  nicht dazu führen, dass auf dem Umweg über vom Staat bestellte Kunstmonarchen (documenta-Päpste Hoet und David z.B.) die Möglichkeiten einer staatlichen  Kunstzensur  oder eines staatlichen  Kunstdirigismus  eröffnet werden, besteht doch - und ich konnte es nachweisen - stets die Gefahr, dass durch ihre  Auswahl der Staat indirekt (über Personalpolitik) in einem bestimmten Sinne eine unzulässige  K u n s t p o l i t i k  durchsetzt.           

            Meine Zielsetzung ist es, aus künstlerischer Perspektive eine Demokratisierung der Künstlerauswahl zu documenten durchzusetzen: Dies hat auch damit etwas zu tun, dass eine heute institutionalisierte "Niedrig"-Kunst (staatlich geförderte Nicht-"Hochkunst", Nicht-Kunst-als-"Kunst"; Anti-Kunst) endlich durch eine überzeugende Alternative (z. B. ultra-moderne Kunst) entmachtet wird. „Politisch engagierte“ postmoderne "Künstler" (samt Vermittlungsapparat, Interpretenherrschaft) verkaufen in der Dadaismus-Tradition - nach "Auflösung des Kunstbegriffs" (dem "Ästhetik"-Ende) - absurde oder banale, "arme" Nicht-Kunst als "erhabene Kunst".

            Mein Credo - auch gegen die d IX und dX-Machenschaften - : Evolutionäre Ästhetik (vgl. weiter oben) vermag als Trans-Ästhetik ("Neo-Ästhetik", "Ultra-Ästhetik", "Hyper-Ästhetik") die gegenwärtig zerschlagene Idee der WAHRHEIT durch trans-disziplinäre Kunst/Forschung zu reanimieren. Die Vorsilbe "trans" (im Sinne von über..., hinaus, jenseits) symbolisiert den evolutionärsynthetischen Ansatz zu kultureller Mutation, so dass - (kunst)historisch gesehen - nunmehr Alt- und Postmoderne als kulturelle Fossilien ("lebende Fossilien") behandelt werden können. Als homologen Terminus für den Begriff Trans-Moderne oder Hyper-Moderne schlug ich vor Ultra-Moderne: im Sinne von "über das Maß" von alt- und postmodernem Denken "hinaus" denken und handeln! Mehr also als „Modernisierung der Moderne“! (Vgl. hierzu Geyer: Gefühl in der Moderne - Alles neu ( FAZ v. 27.11.97, S. N5)           

                Eduard Beaucamp benutzte den Begriff "Ultramoderne" schon 1985, um  - gegenüber der "Ratlosigleit" und "Beliebigkeit" alter, "sich ziemlich langweilig im Kreis herumdrehenden" ästhetischer Leitideen und Zielvorstellungen der Moderne - , die von Kunst-Feinden "ersehnte Aufhebung der Kunst und ihr Überflüssigwerden" endlich zu stoppen. In der Sicht einer "dämmernden Ultramoderne" stellte der Kunstkritiker (eher resignierend) fest: "Der Kunst fehlt es heute an der Kraft, einen Schlußstrich zu ziehen und einen wirklichen Neuanfang zu wagen, würdig einer Jahrtausendwende, ja des Auftakts eines neuen Jahrtausends ... Was heute fehlt ist ein übergeordneter theoretischer Rahmen ... Erst ein neues Denken kann auch eine neue Kunst auf den Weg bringen."

Beaucamp, E.: Moderne, Postmoderne, Ultramoderne. Kunstkritsche Anmerkungen. In: Böhm, G./Stierle, K./Winter, G. (Hrsg.): Modernität und Tradition. München 1985. S. 11.                    

             Ein Staat, der sich als  K u l t u r s t a a t  versteht, muss ent­scheiden, was denn nun „Kultur" (Kunst) und was „Nicht-Kultur" (Nicht-Kunst) ist, und wenn er „die Kultur" (Kunst) bewahren, schützen, vermitteln, fördern will, muss es Gerichten auch erlaubt sein, die Auswahl der „Sachverständigen" kontrollieren zu dürfen. Dass es entgegen der „anything goes" - Maxime (Schlagwort der „Postmoderne") doch einigermaßen  objektivierbare  Kriterien  der Kunstbeurteilung gibt (schon die Film-Bewertungs-Kriterien lassen sich als einigermaßen  hieb- und stichfeste Maßstäbe ohne weiteres auf Kunstbeurteilung übertragen), sollte dem Zugriff messender, exakter Analyse auf die ästhetische Produktion (auch seitens Justitia !) nicht mit Argwohn begegnet werden, wenn verbindliche und gerechte Kunsturteile erzielt werden müssen. Bei einigermaßen ehrlicher Betrachtung des Problems der Kunstbeurteilung sind „intersubjektive" Einsichten und Maßstäbe zu gewinnen, die der  Masse von  Dilettanten des Kunstbetriebs (seien es politisch linke oder rechte,  die das Sagen haben)  oft  nicht zugänglich sind.

Literatur: (1) Sog. Mephisto-Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes der BRD von 1971: BVerfGE 30, 173 ff.; 188 ff..- hierzu JuS 1971. 651 Nr. 1. Hierzu weitere Hinweise in meinem db1 S. 69 ff. (2) Vgl. BVerwGE 23, S. 104 ff. (3) BVerwG, Urt. v. 12.1.1966; vgl. db1 S. 80 und DÖV 1966, S. 647 ff.